Die diesjährige Jahreskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) mit dem Titel „Daten – Plattformen – Ökonomie“ vom 25. bis 27.11.2021 sollte eigentlich als hybrides Format in Leipzig vor Ort und online stattfinden. Nachdem die letzte Tagung und gleichzeitige Abschlussveranstaltung von Prof. Dr. Dirk Heckmann als langjährigem DGRI-Vorsitzenden in dem Format digital+ stattfand, wollte man in diesem Jahr auf die Kombination von Präsenz und online setzen. Hierfür wurde in Leipzig ein entsprechendes Rahmenprogramm aufgesetzt und sicherlich hatten viele Teilnehmende gehofft, sich wieder in Präsenz treffen und austauschen zu können. Aufgrund der sich erneut zuspitzenden pandemischen Lage musste die Veranstaltung in Leipzig jedoch abgesagt werden und die DGRI-Tagung fand auch in diesem Jahr komplett digital statt. Hierbei konnte insoweit auf die sich bereits im letzten Jahr bewährte Landingpage sowie die digitalen Coffee-Rooms zum Austausch zurückgegriffen werden. Somit wurde trotz der kurzfristigen organisatorischen Herausforderungen eine gelungene und interaktive Tagung angeboten.
Eingeleitet wurde die Tagung mit den sog. Pre-Sessions am Donnerstagnachmittag. Im Zentrum der Pre-Sessions stand der Art. 17 DSM-RL. Zunächst gab es eine Vortragsreihe mit internationalen Referierenden. Den Auftakt hielt Matthias Schmid (Referatsleiter, Urheber- und Vergaberecht, BMJV) mit einem kurzen Vortrag über die Geschichte zum Entwurf von Art. 17 DSM-RL und dessen deutsche Umsetzung in das nationale Recht, wobei der deutsche Sonderweg hervorgehoben wurde. Prof. Dr. Valérie-Laure Benabou (Universität Aix-Marseille, Frankreich) zeigte dann die entsprechende französische Umsetzung von Art. 17 DSM-RL. Daran schloss sich der Vortrag von Prof. Dr. Martin Senftleben (IVIR Universität Amsterdam, Niederlande) an, in dem er den niederländischen Weg aufzeigte.
In der darauffolgenden Paneldiskussion mit Matthias Schmid, Dr. Tobias Holzmüller (Justiziar, GEMA), Dr. Cédric Manara (Director, Head of Copyright, Google), welche von Prof. Dr. Axel Metzger LL.M. (Humboldt-Universität zu Berlin) moderiert wurde, kamen auch die Stimmen aus der Praxis zur Sprache. Einerseits wurde dabei erwähnt, dass (noch) viele Unklarheiten für Plattformbetreibende bestünden, da die nationalen Umsetzungen von Art. 17 DSM-RL unterschiedlich verlaufen und voneinander abweichen. Andererseits seien keine großen praktischen Auswirkungen aufgetreten. Insbesondere für bereits erfolgreiche Kreative gebe es keine Änderungen, da sie bereits Lizenzverträge mit den Plattformbetreibern abgeschlossen hätten und die Anweisungen an Plattformbetreibende zur Löschung urheberrechtsverletzender Inhalte (immer noch) selten seien.
Der Tag der Pre-Sessions wurde sodann im geschlossenen Kreis im Rahmen der DSRI Female Netcademy zur Frage der praktischen Auswirkungen des Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes (UrhDaG) beendet. Abends fand nur noch die interne Sitzung des DGRI-Fachausschusses Schlichtung statt.
Die offizielle Eröffnung der DGRI-Tagung erfolge erst am Freitagvormittag. Zunächst begrüßte der jetzige Vorsitzende der DGRI Prof. Dr. Walter Blocher die Zuschauerinnen und Zuschauer. Er betonte wie traurig er über die kurzfristige Absage der Präsenzveranstaltung sei. Doch gleichzeitig könne man nicht verantwortungsvoll zusammensitzen und tagen, wenn überall die Pandemie tobe, zumal es auch die geltenden rechtlichen Regelungen nicht mehr zuließ.
Anschließend gab Prof. Dr. Indra Spieker gen. Döhmann LL.M. (Goethe Universität, Frankfurt am Main) eine Keynote zum Thema „Die Grenzen des Datenschutzes“. Dabei ging sie auf das häufig anzutreffende Vorurteil ein, dass der Datenschutz stets nur Begrenzung von Innovation und Digitalisierung sei. Vielmehr, so zeigte sie auf, unterstehe der Datenschutz selbst Grenzen (etwa gegenüber dem Recht auf wirtschaftliche Betätigung, der Wissenschafts- oder Pressefreiheit), welche im Wege der praktischen Konkordanz immer wieder ausgelotet werden müssten. Als Ausgangspunkt diene der Datenschutz (gem. der DS-GVO) aber nach wie vor der Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Grundbedingung für unsere Demokratie.
Daran schloss sich der Themenblock I „Datenökonomie“ an. Jun.-Prof. Dr. Lea Kumkar (Universität Trier) fragte, ob die europäische Datenstrategie einer Neuausrichtung bedürfe, während Prof. Dr. Jürgen Kühling LL.M. (Universität Regensburg) zu Datenzugang und Datentreuhandlösungen referierte. Nach einem Impuls aus der Praxis von Aline Blankertz (Senior Consultant, Oxera) ergab sich eine kritische Diskussion insbesondere über den Data Governance Act. Die Quintessenz war, dass Datenregulierung nicht nur neue Verpflichtungen, sondern auch neue Anreize bringen solle.
Der Themenblock II griff anschließend bereits in der Keynote angesprochene Aspekte auf und widmete sich ausführlich dem Datenschutz. Prof. Dr. Moritz Hennemann (Universität Passau) referierte zum Thema „Wettbewerb der Daten(schutz)rechtsordnungen“. Hierbei betrachtete er diesen Aspekt vor allem aus globaler Perspektive und zeigte auf, wie sich die Datenschutzrechtsordnungen (abweichend) entwickeln. Die europäische DS-GVO werde dabei in vielen Ländern als Vorbild gesehen (Push-and-Pull-Effekte). Dennoch gebe es insbesondere im Vergleich zu den USA deutliche Unterschiede bei der Regulierung und den dahinterstehenden Grundannahmen. Markus Schröder (Global Data Privacy Professional, Allianz Global Investors GmbH, Frankfurt am Main) erläuterte in seinem Vortrag „Internationaler Datenverkehr vor neuen Herausforderungen – Aufräumen nach Schrems II“ die bisher noch ungeklärten Fragen zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten in Drittstaaten. Hierbei stellte er auch mögliche Lösungen der aktuellen Situation vor. Daran anschließend griff Rechtsanwältin Susanne Werry LL.M. (Clifford Chance Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main) das Thema auf und berichtete von Ihren Erfahrungen in der Praxis. Schließlich folgte Prof. Dr. Rolf Schwartmann (Technische Hochschule Köln, Mitglied der Datenethikkommission, Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V. (GDD)) mit seinem Vortrag
„Rechtsdurchsetzung im Datenschutz“. Hierbei ging er insbesondere auf die sich aus dem Verwaltungsverfahrensrecht ergebenen Vorgaben für die Datenaufsichtsbehörden bei der Durchsetzung des Datenschutzrechtes ein. Die anschließende Podiumsdiskussion wurde von Rechtsanwältin Caroline Gaul LL.M. (Walder Wyss, Zürich) moderiert und hatte vor allem die Herausforderungen der Praxis zum Gegenstand.
Zum Themenblock IIIa „IT-Sicherheitsrecht“ sprachen Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker (Legal Advisor, Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) e.V., Kompetenzzentrum Informationssicherheit + CERT@VDE) und Christoph Werner (Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaften, Karlsruhe). Prof. Kipker gab einen umfassenden Überblick über die neusten Entwicklungen im IT-Sicherheitsrecht. Dabei ging er, neben Entwicklungen auf unionsrechtlicher Ebene, insbesondere auf das neue deutsche IT-Sicherheitsgesetz 2.0 ein. Er kritisierte, dass auch das neue Gesetz nicht alle relevanten Unternehmen erfasse. Im zweiten Vortrag wurde zunächst das IT-Sicherheitsrecht definiert sowie dessen Kernfunktionen aufgezeigt. Im Weiteren wurde vertieft darauf eingegangen, wie die richtigen Maßnahmen zur Sicherstellung der IT-Sicherheit gewählt werden müssten. Herr Werner legte dabei in seinem Ansatz besonderes Augenmerk auf den Begriff des Standes der Technik. Dies wurde in der anschließenden Diskussion recht umfassend beleuchtet.
Im Rahmen des Themenblocks IIIb „Ditiales Vertragsrecht“, welches von Rechtsanwältin Monika Menz (Reusch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin) moderiert wurde, lieferte zunächst Dr. Anna K. Brenzen (Universität Bonn) einen umfassenden Überblick über die infolge der Digitale-Inhalte-RL zum 01.01.2022 in Kraft tretenden Regelungen über „Verträge über digitale Produkte“. In den neuen §§ 327 ff. BGB finden sich nunmehr Spezialregelungen zum Rechtsverkehr mit digitalen Produkten, u.a. neue Rechtsinstitute wie die „Zahlung mit der digitalen Darstellung eines Wertes“, worunter etwa Kryptowährungen fallen. Anschließend nahm Rechtsanwältin Dr. Kristina Schreiber (Loschelder Rechtsanwälte, Köln) im Rahmen der Neuordnung des Vertragsrechts die sog. „Updateverpflichtungen“ in IT-Verbraucherverträgen näher unter die Lupe. Hierbei handle es sich um ein dem BGB zuvor unbekanntes Rechtsinstitut. Unternehmer würden im Rahmen von IT-Verbraucherverträgen zukünftig dazu verpflichtet sein, Aktualisierungen („Updates“) für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit bereitzustellen.
Der zweite Tagungstag wurde mit der „Best Speech der DSRI-Herbstakademie 2021“ eröffnet. Frau Laura L. Stoll B.Sc. (Consultant Datenschutz, Diplom Juristin, intersoft consulting services AG) hielt einen Vortrag mit dem Titel „Wahrnehmungspsychologische Erkenntnisse und datenschutzrechtliche Einwilligungen: Eine interdisziplinäre Betrachtung am Beispiel von dark patterns und nudging.“ Sie zeigte in verständlicher sowie anschaulicher Weise, wie Internetnutzer bei Entscheidungsprozessen dahingehend manipuliert würden, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Im Falle von sog. „dark patterns“ etwa setze diese Beeinflussung an den Wahrnehmungsprozessen der Nutzer an. Diese wahrnehmungspsychologischen Erkenntnisse hätten erhebliche Auswirkungen auf die Freiwilligkeit der Einwilligung, welche ein zentraler Rechtfertigungstatbestand der DS-GVO für die Datenverarbeitung ist.
Der darauffolgende Themenblock IV trug den Titel „Digitale Herausforderungen für die Unternehmensführung“ und wurde von Prof. Dr. Peter Bräutigam (Noerr, München) moderiert. Zu den Möglichkeiten und Grenzen einer „Technology Judgement Rule“ sprach Dr. Michael Denga LL.M. (Maître en Droit, Humboldt-Universität zu Berlin). Anschließend hielt Prof. Dr. Melanie Volkamer (Karlsruher Institut für Technologie) einen Vortrag zu Online-Wahlen und Beschlussfassungen im Gesellschaftsrecht, bevor es zur Podiumsdiskussion überging.
Der fünfte und letzte Themenblock der DGRI-Tagung befasste sich mit der Plattformökonomie und wurde von Dr. Axel Funk (CMS Hasche Sigle, Stuttgart) moderiert. Im Mittelpunkt standen die rechtlichen Regelungen der 10. GWB-Novelle (mit Hauptaugenmerk auf § 19a GWB) und die Entwürfe des Digital Services Acts (DSA) sowie des Digital Markets Acts (DMA). Vorträge hierzu gab es von Prof. Dr. Ruth Janal LL.M. (Universität Bayreuth), Dr. Sebastian Louven (louven.legal, Detmold, Secretary General der IFCLA) und Prof. Dr. Boris P. Paal M.Jur. (Universität Leipzig). Die (rechtlichen) Herausforderungen, die die Monopolstellung großer Plattformen mit sich bringen, wurde gleich zu Beginn von Prof. Janal dargestellt. Die Anwendungsbereiche, Neuregelungen sowie noch bestehende Regelungslücken wurden thematisiert und zusammengefasst. Im Kern wurden diese neuen Regelungswerke begrüßt, auch wenn Nachbesserungspotential bestünde. Nachbesserungen und Konkretisierungen seien insbesondere hinsichtlich der Definition im DSA zu sehr großen Online-Plattformen und dessen fehlende Anwendung auf beispielsweise Suchmaschinenbetreiber, aber auch zum Verhältnis zwischen den EU-Normen und dem nationalen Recht (z.B. DSA und NetzDG; DMA und GWB) nötig.
Der im Rahmen der DGRI-Tagung traditionell vergebene Preis der Deutschen Stiftung für Recht und Informatik (DSRI-Wissenschaftspreis) ging dieses Jahr gleichrangig an Dr. Daniel Timmermann für seine Dissertation „Legal Tech-Anwendungen – rechtswissenschaftliche Analyse und Entwicklung des Begriffs der algorithmischen Rechtsdienstleistung“ sowie an PD Dr. Dimitrios Linardatos für seine Habilitationsschrift „Autonome und vernetzte Aktanten im Zivilrecht – Grundlinien zivilrechtlicher Zurechnung und Strukturmerkmale einer elektronischen Person“.
Weitere Informationen finden sich unter: https://www.dgri.de/13n440