Stellungnahme von Center for Digital Public Services (CDPS)-Direktor Dirk Heckmann
Das Bundeskabinett hat in seiner Sitzung vom 27.1.2021 die „Datenstrategie. Eine Innovationsstrategie für gesellschaftlichen Fortschritt und nachhaltiges Wachstum“ beschlossen. Mit ihr will die Bundesregierung
„innovative und verantwortungsvolle Datenbereitstellung und Datennutzung insbesondere in Deutschland und Europa signifikant erhöhen – in der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Verwaltung.“ Gleichzeitig will sie „auf Basis der europäischen Werte eine gerechte Teilhabe sichern, Datenmonopole verhindern und zugleich Datenmissbrauch konsequent begegnen.“
Der Direktor des CDPS, Professor Dirk Heckmann, hat sich die Datenstrategie angesehen und zeigt sich in einer ersten Stellungnahme begeistert:
1. Aus meiner fachlichen Sicht, sowohl als Mitglied der Datenethikkommission als auch als Wissenschaftler, der sich seit über 20 Jahren mit diesen Themen befasst, sehe ich die Datenstrategie der Bundesregierung überaus positiv (besonders, wenn man es mit anderen Strategien vergleicht, die in den letzten Jahren auf europäischer und nationaler Ebene beschlossen wurden). Die vier Hauptkapitel
- Das Fundament: Dateninfrastrukturen leistungsfähig und nachhaltig ausgestalten
- Innovative und verantwortungsvolle Datennutzung steigern
- Datenkompetenz erhöhen und Datenkultur etablieren
- Den Staat zum Vorreiter machen
sind Überschrift, Leitmotiv und politisches Versprechen zugleich.
Bei alledem steht der Mensch im Mittelpunkt:
„Für uns steht aber fest, dass auch in einer digitalen Gesellschaft stets der Mensch als Individuum und soziales Wesen, als aufgeklärte Bürgerin und aufgeklärter Bürger, im Mittelpunkt stehen muss. Das ist das zentrale Leitbild der europäischen Werteordnung. Dies stets zu berücksichtigen, ist für uns Ausdruck einer „verantwortungsvollen Datennutzung“. Der Mensch darf nicht zum bloßen Objekt digitaler Prozesse werden. Die Technik soll den Menschen unterstützen und helfen, ihn aber nicht fremdbestimmen und als Entscheidungsträger ersetzen.“
Betrachtet man die Datenstrategie in all ihren Facetten, Bestandsaufnahmen und Handlungsempfehlungen, merkt man wiederum, dass diese „human centered policy“ nicht leere Worthülse ist. Das Dokument atmet diesen Gedanken regelrecht.
2. Die Datenstrategie der Bundesregierung zeichnet sich insbesondere durch zwei Vorzüge aus:
a) Zum einen beschreibt sie fundiert, in angemessener Tiefe und Breite genau jene Herausforderungen, die sich in Bezug auf die Datenverarbeitung in ihrer gesamten Vielfalt stellen, die dem Gemeinwohl, der Wertschöpfung und legitimen Interessen der Wirtschaft sowie der privaten Nutzer und Nutzerinnen/Verbraucher und Verbraucherinnen dienen. Auffällig ist das in vielen Abschnitten zum Ausdruck kommende ausgewogene Verhältnis der berücksichtigten Interessen: Die Datenstrategie erkennt die wichtige Rolle der Unternehmen bei der Erhebung, Aggregierung und Veredelung von (insbesondere: nicht-personenbezogenen) Daten, ist dabei aber keineswegs „wirtschaftsnah“. Gleichberechtigt werden zahlreiche Maßnahmen zum Schutz der Interessen von Nutzerinnen und Nutzern (Verbrauchern) genannt. Überhaupt wird die Zivilgesellschaft vielfach adressiert, die gleichberechtigt neben Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung als Agierende, Nutznießende und Beteiligte bei der Umsetzung der Datenstrategie genannt wird. Bezeichnend ist insoweit auch, dass Forderungen aus der Zivilgesellschaft (wie Open Data, Open Government, Open Source etc.), die früher eher stiefmütterlich behandelt wurden, nunmehr im Mittelpunkt einer Datenstrategie stehen und einen festen Platz in der politischen Agenda der Bundesregierung bekommen haben. Der hohe Rang des Verbraucherschutzes zeigt sich auch, wenn Maßnahmen des Profilings und Scorings, um Verhalten zu prognostizieren und zu steuern sowie Präferenzen zu beeinflussen, kritisch hinterfragt und gegebenenfalls begrenzt werden sollen.
b) Zum anderen bietet die Datenstrategie konkrete Lösungen und Handlungsempfehlungen an und scheut sich auch nicht, immer wieder Verantwortliche zu benennen, die sich um die Umsetzung kümmern werden. Hierzu wurden praktisch aus allen Ministerien konkrete Projekte, Gesetzesvorhaben und andere Maßnahmen geliefert, die im Anhang zur Datenstrategie in einem fast 40-seitigen Maßnahmenkatalog mit insgesamt über 230 Maßnahmen übersichtlich aufgelistet werden. Dass man sich daran auch messen lassen will, zeigt die ausdrückliche Bereitschaft zum Monitoring der versprochenen Maßnahmen:
„Wir werden die Umsetzung der Datenstrategie mit einem Fortschritts-Monitoring begleiten. Dazu gehört eine effektive, zeitnahe Evaluation.“ Dies wiederum passt in das deutlich verstärkte Bemühen um Transparenz („Wir werden beim Statistischen Bundesamt ein digitales Datenportal „Dashboard Deutschland“ etablieren, das den dynamischen Informationsbedarfen der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft Rechnung trägt.“)
3. Die Datenstrategie zeigt an vielen Stellen innovative Wege auf und belegt die Offenheit der Bundesregierung, die Digitale Transformation gemeinsam mit allen relevanten Akteuren und Akteurinnen interessengerecht zu gestalten. Um nur wenige Beispiele zu nennen:
a) So soll der verbreiteten Rechtsunsicherheit durch ein innovatives Rechtsinformationsportal begegnet werden, damit Innovationen nicht durch die vermeintliche Unvereinbarkeit mit rechtlichen Vorgaben ausgebremst werden.
b) Der Unsicherheit im Umgang mit personenbezogenen Daten, beispielsweise Gesundheitsdaten bei der Pandemiebekämpfung und darüberhinausgehenden Gesundheitsvorsorge soll mit gezielter Forschungsförderung und der Etablierung eines Forschungsnetzwerks zur Anonymisierung begegnet werden.
c) Die Etablierung von Chief Data Scientists („Datennutzungsbeauftragten“) mit einem Kernteam von Datenanalysten und Datenanalystinnen in allen Bundesbehörden ist die richtige Antwort auf schmerzlich vermisste Datenkompetenz und KnowHow in der öffentlichen Verwaltung.
d) Absolut zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung an die Europäische Datenstrategie zur Schaffung und Verwaltung von Datenräumen anknüpft und diese mit Leben füllt.
e) Ebenso bemerkenswert ist die Entwicklung eines „Datenatlas der Bundesverwaltung“. In einem ersten Schritt sollen die Datenbestände der Bundesverwaltung analysiert und auf Aktualität, Redundanz und Richtigkeit überprüfen und ein Darstellungskonzept erarbeitet werden. Ergänzt wird dies durch Errichtung eines gemeinsamen internen virtuellen Datenpools der Bundesbehörden, über den die verschiedenen Behörden relevante Daten für datenbasiertes Regierungshandeln in einem einheitlichen, standardisierten Format künftig zusammenführen und austauschen wollen.
4. Erfreulich ist aber auch, dass die Datenstrategie „das Rad nicht überall neu erfindet“, sondern sich an den hilfreichen Empfehlungen der Datenethikkommission, der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 und dem Digitalrat orientiert.
a) So wird zum Beispiel das Instrument des Datentreuhänders als vertrauensbildende Institution übernommen, nicht ohne den richtigen Hinweis, dass dies kein Allheilmittel sei und damit auch keine neue Bürokratie entstehen dürfe. Zudem
„soll ein Datencockpit eingeführt werden, das digital und damit nutzerfreundlicher als bisher für Bürgerinnen und Bürger Transparenz herstellt über den Austausch von Daten zwischen öffentlichen Stellen.“
b) Ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Datenethikkommission wird die Bundesregierung
„die Schaffung eines konkreten Rechtsrahmens für Datenmanagementsysteme bzw. Personal Information Management Systems (sog. PIMS) prüfen, die das Datenschutzrecht sicherstellen und die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher wahren.“
c) Aufgegriffen wird auch der Vorschlag einer partiellen Fokussierung der Datenschutzaufsicht. Dies nicht etwa durch Abschaffung der Landesdatenschutzaufsichtsbehörden, aber durch Bündelung der Datenschutzaufsicht in länderübergreifenden Sachverhalten (analog zu den bestehenden Regelungen des Gesundheitsdatenschutzes). Auch dies dient der Rechtssicherheit, leiden doch insbesondere Unternehmen unter der unterschiedlichen Interpretation der DSGVO. Erfreulich ist es insoweit auch, dass in diesem komplexen Rechtsgebiet
„neue Aufbereitungsformen, länderübergreifende einheitliche Auslegungshilfen und weitere untergesetzliche Maßnahmen auch für juristische Laien“ entwickelt und zugänglich gemacht werden sollen.
Hierfür können sich insbesondere auch technische Lösungen eignen.
d) Geradezu zwingend, weil rechtsdogmatisch anders nicht vertretbar, ist die deutliche Absage an ein Dateneigentum. Um dann aber gleichzeitig
„zu prüfen, wie die Durchsetzung von bestehenden Rechten gestärkt werden kann“, etwa durch „Etablierung eines angemessenen Rechtsrahmens, der Zugang zu nicht-personenbezogenen Daten und gleichzeitig eine gerechte Teilhabe an der Datennutzung ermöglicht.“
e) Anstatt dessen soll eine Kultur des freiwilligen und verantwortungsvollen Datenteilens gefördert werden, von der alle gesellschaftlich Beteiligten profitieren. Das gesamte Datenökosystem soll so ausgestaltet werden, dass mehr Daten freiwillig genutzt und getauscht werden. Unterstützt wird daher der Aufbau von Datenpools und Datenkooperationen. Das ist aus meiner fachlichen Sicht genau der richtige Ansatz und knüpft an die in Fachkreisen stattfindende Debatte über Fragen des fairen Zugangs zu und der Nutzung von Daten an. Ein souveräner und selbstbestimmter Umgang mit Daten ist für innovative Geschäftsmodelle, funktionsfähigen Wettbewerb, das Gemeinwohl und gesellschaftliche Teilhabe von großer Bedeutung.
5. Fazit: Die Datenstrategie wird die Datenpolitik nachhaltig prägen
Schon die für diese Stellungnahme ausgewählten wenigen Befunde und Maßnahmen zeigen, dass die rund 60 Seiten (zzgl. Anhängen) der Datenstrategie einen Konkretisierungsgrad aufweisen, der dem komplexen politischen Abstimmungsprozess zur Ehre gereicht. Dass die Datenstrategie nun etwas verzögert beschlossen wurde, ist kein Nachteil. Es ist ohnehin offensichtlich, dass der Maßnahmenkatalog nicht nur an die jetzige Bundesregierung adressiert ist, sondern eine politische (nicht: rechtliche) Bindungskraft für die nächste Bundesregierung entfaltet. Diese politische Bindung ergibt sich aus der Überzeugungskraft des Dokuments, dem man sich in einem größeren Maß kaum entziehen kann. Natürlich kann man in einzelnen Punkten unterschiedlicher Meinung sein und ist an einigen Stellen der Diskurs erst angestoßen. Aber genau das macht eine gute, ja sehr gute Strategie aus, die evidenzbasiert, aber auch visionär sein sollte. Sie aus vordergründigen politischen Gründen zu diskreditieren, würde der überragend wichtigen Sache einen Bärendienst erweisen. Gerade die Pandemie zeigt, wie wichtig es ist, dass die richtigen Daten in richtiger Form zur rechten Zeit zur Verfügung stehen. Die Datenstrategie der Bundesregierung, die es nun beherzt umzusetzen gilt, kommt gerade noch rechtzeitig.
Den Text der Datenstrategie finden Sie hier.
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